der geizige

27. September 2005, 00:00, NZZ Online

Gallischer Giftzwerg

«Der Geizige» von Molière am Luzerner Theater


Geld stinkt bekanntlich nicht, doch einer wie Harpagon, die Titelfigur in Molières Komödie «Der Geizige», die ihren Reichtum mit allen Mitteln verbergen will, geht lieber auf Nummer sicher. Waschen kommt - im Zeitalter des Sonnenkönigs - nicht in Frage, Parfum schon. Wir würden jedoch wetten, dass es sich um das billigste handelt, das im Handel zu kriegen ist. Die Bühne - das heisst: Harpagons Haus - wird also zu Beginn olfaktorisch abgeschirmt. Nun, auch Theater pflegt selten zu stinken, deshalb erscheint diese Vorsichtsmassnahme als doppelt verlorene Liebesmüh. Und schliesslich wird im Theater alles ausgeplaudert: Harpagon selbst ist es, der uns bald verrät, sein Geldschatz sei im Garten vergraben. Zu riechen gibt es also nichts, Auge und Ohr allerdings kommen voll auf ihre Kosten. Einen so sinnlichen - und in gewisser Weise verschwenderischen - «Geizigen», wie ihn der Berliner Schauspieler, Autor und Regisseur Herbert Fritsch am Luzerner Theater angerichtet hat, muss man lange suchen. Was reichlich überraschend ist, hätte man sich doch Fritsch, Ensemblemitglied der Berliner Volksbühne, eher als Vertreter der Dekonstruktion und avancierter szenischer Mittel vorstellen mögen.

Und nun das: gemalte Hintergrundprospekte (Bühne: Manuela Freigang), barockisierende Kostüme (von Birgit Künzler), pompöse höfische Musik. Und eine Menge Getänzel, Geziere und Geschmeichel - mit einem Wort: das pure Kontrastprogramm zu Werner Düggelins karger und konziser Zürcher Inszenierung. Harpagons Kinder Cléante und Elise (Peter Waros und Anna Eger), im Dauerzwist mit ihrem Vater in Geld- und Heiratsdingen, befinden sich im permanenten Ausnahmezustand, pendelnd zwischen der Ohnmacht aus Liebe und der Ohnmacht aus Wut. Kaum hat der Reifrock der schmachtenden Elise rot aufgeleuchtet wie ein Kitschherz, entstellt ein grellgrüner Spot die Gesichter der Geschwister zu Fratzen des Grimms. Die mit viel Ironie durchsetzte Melodramatik ist aber nicht nur buntes Spiel um der Opulenz und Verspieltheit willen, sondern auch Ausdruck der Entfremdung: Cléante und Elise erscheinen als um jede Autonomie betrogen, Harpagons Geiz macht sie zu Marionetten ihrer Emotionen.

Und der Hausherr selbst? In eine brave braune Kutte gekleidet, bewegt er sich wie in einer anderen Welt. Was das darstellerische Register angeht, wirkt Hans Schenker, bekannt aus «Lüthi & Blanc» und seit längerem nicht auf Stadttheaterbühnen aufgetreten, wie geerdet im Boden bürgerlicher Komik. Sein Harpagon ist ein gallischer Giftzwerg à la Louis de Funès, ein lächerlicher Bösewicht mit gebleckten Zähnen, vorgeschobener Unterlippe, gekrümmtem Körper, rollendem R. Auch er ist pausenlos in Bewegung, tänzelnd hier, hüpfend da, kriechend dort: ein Geizkragen, den seine Leidenschaft zum grandiosen Energieverschwender macht. Und darum liebt man ihn, all seinen grauenhaft despotischen Anwandlungen zum Trotz. Fritschs Inszenierung beweist einmal mehr, dass man im Theater all denen verzeiht, die vital sind, und Marionetten verachtet, auch wenn sie Opfer sind. Oder ist es auch im Leben so?

Tobias Hoffmann